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Exzess in Serie: Babylon Berlin

Exzess in Serie: Babylon Berlin
© Max Brucker / Sky
Veröffentlicht:
12.10.2017
Karl Markovics spielt im Serien-Highlight Babylon Berlin einen Österreicher im Berlin der „Wilden Zwanziger“.

Die teuerste deutsche Serie aller Zeiten feiert diese Woche im Pay-TV Premiere: Das 16-teilige Mammutprojekt „Babylon Berlin“ (Sky, ab 13.10.) entführt den Zuschauer ins Berlin der Zwischenkriegszeit – und damit in eine Ära, die von ausschweifendem Nachtleben, Sex, Gewalt, Verbrechen, Armut und politischen Unruhen geprägt war. Karl Markovics, einer der bekanntesten österreichischen Seriendarsteller, spielt in der u. a. von Sky und ARD Degeto (die Free-TV-Premiere ist für Herbst 2018 geplant) produzierten Edelserie des Regie- und Autorentrios Tom Tykwer, Henk Handloetgen und Achim von Borries eine zentrale Rolle.

tele: Wer ist dieser Samuel Katelbach, den Sie in der Serie spielen? Am Anfang kommt das ja noch nicht so ganz klar heraus …
Karl Markovics: Katelbach ist ein österreichischer Journalist, der als Korrespondent für die „Weltbühne“ in Berlin tätig ist. Ein Kultur-Feuilletonist, der sich auch politischen, gesellschaftspolitischen Themen widmet, in Anlehnung an die Großen dieser Zeit, Joseph Roth oder Alfred Polgar. So eine Figur ist das. Ein bisschen dandyhaft, zerstreut, schlampig, aber einer mit einem sehr scharfen Verstand, der überall seine Kontaktleute hat. Und einer, der im Zuge der Serie für die Hauptfigur mehr und mehr wichtig wird, als Kontaktperson, die über ihr journalistisches Netzwerk an Informationen kommt.

tele: Ihr Charakter wird also tiefer in die Ereignisse hineingezogen und auch in die kriminellen Machenschaften verwickelt?
Karl Markovics: Ja, so viel darf ich schon verraten. Diese Schlinge zieht sich mehr und mehr zusammen. Tatsächlich werden alle Figuren im Umfeld von Gereon Rath (Anm.: die Hauptfigur, gespielt von Volker Bruch), alle, mit denen er irgendwie in Berührung kommt, mehr und mehr in diese Vorgänge verstrickt. Gerade Katelbach wird durch seine Kontakte für Rath immer wichtiger.

02 BB 006 ACA 9480tele: „Babylon Berlin“ gilt ja als bisher teuerste deutsche Serienproduktion überhaupt. Bekommt man am Set die ganze Dimension dieses Großprojekts mit?
Karl Markovics: Teils, teils. Es kommt darauf an, wo gedreht wird. Wenn ich in der Wohnung Behnke drehe, mit zwei Kollegen, dann ist es wie ein normales Filmset. Wenn ich aber mit 300 Komparsen am Gelände des Studios Babelsberg in der Neuen Berliner Straße Außenszenen drehe, und da fahren 40 historische Autos herum und es raucht und qualmt und es wird geschossen; oder man dreht in der „Roten Burg“, im damaligen Berliner Polizeipräsidium mit Komparsen und Kamerakran und allem Drum und Dran – dann merkt man es. Aber nur dann. Das ist auch das Tolle, denn zwischendurch hat es gar keine Bedeutung. Im Fokus steht bei allen Regisseuren immer die Szene, der Dialog, der Schauspieler. Selbst bei den größten Massenszenen merkt man, worum es wirklich geht: Was passiert zwischen den Figuren? Man spürt nie den Druck oder die Last, was für ein Budget jetzt dahintersteht, wie viel Filmminuten hier abgefrühstückt werden müssen, was es kostet, wenn die Szene noch einmal gedreht werden muss. Für die Schauspieler hat das keine Bedeutung, denn man merkt, wie gut das vorbereitet wurde und wie gut die drei Regisseure miteinander funktionieren.

tele: Wie haben sich Tom Tykwer, Achim von Borries und Henk Handloegten die Arbeit aufgeteilt?
Karl Markovics: Es dreht nicht einer eine Folge und der andere die nächste. Sie drehen Bilder. Und es kann sein, dass man als Schauspieler in einer Folge in Summe mit drei Regisseuren arbeitet, weil sich das halt so ergeben hat. Ich hab mit allen dreien gedreht – und trotzdem ist alles aus einem Guss. Und man merkt, wie lange die drei schon daran arbeiten. Anders ging es auch nicht. Die kennen das Projekt und einander in- und auswendig.

tele: Wie viel Kontakt hatten Sie mit Tom Tykwer, dem prominentesten Namen in diesem Dreigestirn?
Karl Markovics: Ich hätte ja ursprünglich fast nur mit Henk Handloetgen gedreht, weil er die Szenen in der Wohnung Behnke inszenieren sollte. Henk ist aber am ersten Drehtag krank geworden und mit Grippe im Bett gelegen. Und da wurde Tom Tykwer buchstäblich in der Früh vom Flughafen weg ans Set geholt, um den Drehtag zu retten. Das geht auch nur, wenn jeder über das Projekt Bescheid weiß. Dadurch hatte ich mit Tom Tykwer meinen ersten Drehtag. Das war irrsinnig schön und entspannt. Wir kannten uns auch schon privat über Bekannte, hatten aber noch nie miteinander gearbeitet.

tele: Gab es auch Unterschiede in der Herangehensweise der Regisseure?
Karl Markovics: Natürlich hat jeder seine eigene Handschrift. Aber ich könnte nicht sagen, mit wem ich lieber gearbeitet habe. Es war immer dieselbe Energie da und dieses hundert Prozent auf die Szene fokussiert sein, wurscht, was drumherum los ist. Dieses „Lass uns das Beste daraus machen!“. Insofern ist es buchstäblich ein Geschenk für einen Schauspieler, an dieser Serie mitzuwirken.

BB 123 ACA 2674tele: Sie sind ja selbst auch Regisseur. Sind Sie beim Dreh ausschließlich auf Ihre Arbeit als Schauspieler fokussiert oder wechseln Sie manchmal die Perspektive?
Karl Markovics: Davor würde ich mich hüten. Das ist auch der Grund, warum ich in meinen eigenen Filmen bisher noch nie mitgespielt hab. Ich will nicht springen müssen. Nicht, dass ich glaube, ich könnte es nicht. Ich weiß nur nicht, ob ich das überhaupt will und ob mir das so wichtig wäre. Beim ersten Film nach meiner ersten Regiearbeit, als ich wieder als Schauspieler gearbeitet habe, wurde mir klar, auf wie viele Sachen ich nun plötzlich anders achte. Das habe ich mir aber sehr schnell abgewöhnt, weil ich gemerkt habe, wie viel Energie es mir als Schauspieler abzieht. Und seitdem funktioniert diese Trennung hundertprozentig. Im Gegenteil: Ich glaube, ich mische mich jetzt als Schauspieler noch weniger in gewisse Dinge ein. Ich sage mir, das geht mich eigentlich gar nichts an. Früher hätte ich es als Schauspieler, als reiner Schauspieler, eher noch gemacht. Seit ich Regie führe, weiß ich, wie schwierig das ist – und wo mein Platz ist. Das sind Dinge, die ich nicht beeinflussen kann und soll. Ich konzentriere mich auf meinen Teil.

tele: „Babylon Berlin“ ist ein Genre-Mix aus Historien- und Krimiserie, spielt in der Zeit der „Wilden Zwanziger“. Berlin war damals ein Hexenkessel aus Lebenslust, extremer Arbeitslosigkeit, politischen Unruhen. Wird diese Stimmung gut eingefangen?
Karl Markovics: Ja, und zwar so wie ich es bisher selten im Kino und kaum im Fernsehen erlebt habe. Also dieses Lebensgefühl kann man gar nicht übertrieben genug darstellen. Das war damals wirklich so. Ich habe eine Großmutter, die kommt aus dem Umland von Berlin. Meine Mutter wurde dort geboren, im Krieg kam sie nach Österreich. Ich kenne das aus den Erzählungen meiner Großmutter, es deckt sich sehr viel mit dem, was die Serie zeigt. Auf der einen Seite dieses Überdrehte, dieser Tanz auf dem Vulkan: Morgen kann es vielleicht schon vorbei sein! Und das war es dann auf eine gewisse Weise auch bald, ein paar Jahre später. Gerade im Zusammenhang mit Menschen wie Samuel Katelbach. Das Gegenbild zu dieser ausgelassenen Stimmung ist die „Rote Burg“, das Polizeipräsidium, der Beamtenapparat, das fast strichartige Anwerben von weiblichem Schreibpersonal in der Früh. Dieses Prekariat, die beginnende Frauenemanzipation, das langsame Sich-selbständig-machen durch Frauenbeschäftigung, auch diese Themen kommen hier so als Farbeffekte vor. Wenn man genau hinschaut, ist das extrem gut gezeichnet und wird von den Regisseuren auch sehr ernst genommen.

tele: Hatten Sie persönlich eine spezielle Inspirationsquelle für dieses Berlin der Weimarer Republik?
Karl Markovics: Meine Hauptinspirationsquelle war Siegfried Krakauers „Die Angestellten“. Das Buch wurde 1929 geschrieben und passt ganz genau in diese Zeit. Auch Krakauer konzentriert sich auf Berlin, weil Berlin die Stadt überhaupt ist, in Europa. Berlin steht für diese neue Urbanität, für den neuen sozialen Stand der Angestellten. Eine der ersten Geschichten, die er beschreibt, ist die: Er trifft in der S-Bahn eine junge Frau, die gerade von einem Hochzeitsgelage, das einen Tag gedauert hat, ganz bedudelt zurückkommt. Sie ist Angestellte in irgendeinem Großbetrieb, er interviewt sie. Und eine der ersten Sachen, die sie macht: sie zeigt ihm ihre durchgetanzten Absätze. Jeden Monat tanzt sie ein paar Schuhe durch!

tele: Würde es Sie reizen, etwas Ähnliches mit Wien als Schauplatz zu machen? Einen Film oder eine Serie im Wien der Zwischenkriegszeit?
Karl Markovics: Es wäre jedenfalls etwas Anderes, ließe sich aber auf seine Art auch gut umsetzen. Ich weiß allerdings nicht, ob gerade diese Zeit dafür gut geeignet wäre. Ich glaube, da hat man sich mit Berlin schon die richtige Stadt ausgesucht, weil Wien natürlich andere Vorzeichen hat. Hier war alles etwas träger, gemächlicher, bedeckter. Es gibt ja auch diesen Spruch: „Wenn die Welt untergeht, möchte ich in Wien sein, weil dort passiert alles fünfzig Jahre später.“ In Berlin hingegen ist alles explodiert zu dieser Zeit. Also rein vom Schauwert, von der Frage, wie packe ich ein Publikum, war es für so eine Serie – die ja auch Quote bringen und schnell funktionieren muss – schon eine kluge Entscheidung, Berlin zu nehmen.

tele: „Babylon Berlin“ steht auch für den Trend zu Autorenserien, der zuletzt in den USA stark aufgekommen ist. Andererseits produzieren Streaming-Dienste heute immer öfter teure Originalserien. Wie sehen Sie diese Entwicklung?
Karl Markovics: Das ist inzwischen auch in Europa ein großes Thema, vor allem im deutschsprachigen Raum. Es kommt nicht von ungefähr, dass die nächsten Produktionen, die ich in Deutschland drehe, zwei Sechsteiler sind: der eine für Netflix, der andere für Amazon. Das meiste Geld wird im Moment – und in Deutschland ist gerade sehr viel Geld da – genau für diese Produktionen ausgegeben. Auch Sky produziert jetzt – ebenfalls in Berlin – eine achtteilige Serie (Anm.: „Acht Tage“), wovon Stefan Ruzowitzky vier Folgen dreht. Das meiste Geld, aber auch die meiste Innovationskraft, ist derzeit also in diesem Bereich vorhanden.

tele: Das ist ja grundsätzlich nicht schlecht …
Karl Markovics: Man kann das jetzt negativ oder positiv sehen. Von der Darstellerseite her sage ich natürlich: Für uns ist es sehr gut. Allein in „Babylon Berlin“ gibt es 250 Rollen! Wenn es solche Projekte sind, wo es nicht nur um Quote, sondern auch um Qualität geht, dann ist es ein Glücksfall und dann soll es uns nur recht sein. Was das in weiterer Folge für das Kino bedeutet – das ja für mich eine große Herzensangelegenheit ist – kann man noch nicht genau abschätzen. Ich weiß nicht, ob es grundwegs negativ ist, weil diese Art von Fernseh- oder Streaming-Produktionen ein Genre abdecken, welches das Kino ja gar nicht abdecken kann. Sie können ja keine Geschichte über 16 Stunden im Kino erzählen. Insofern kann ich mir vorstellen, dass das eine dem anderen sehr viele neue Impulse geben könnte. Keine Ahnung, ob das nur ein Wunschdenken ist.

tele: Bringen diese neuen Serien, die wie überdimensionale Filme wirken, auch neue Arbeitsweisen mit sich?
Karl Markovics: Es ist eine Tatsache, dass das im Moment das Genre unserer Zeit ist. Diese großen Serien – und zwar in jedem Bereich, ob historisch oder zeitgenössisch, auf der Thrillerebene oder auf der Comedyebene. Und das kommt nicht von ungefähr. Das stößt Türen auf zu anderen Dimensionen, auch gerade was die schreibende Zunft anbelangt. Diese Möglichkeiten gibt es ja sonst nicht, dieses „Writers Room“-Prinzip. Das wurde auch in Deutschland zum ersten Mal bei „Babylon Berlin“ so etabliert: dass drei Regisseure und Autoren zusammen an einem Ding arbeiten. Die Komplexität ist so groß, dass man sich ja auch gegenseitig befruchtet, indem man sich vernetzt. Gerade „Vernetzen“ ist dafür wahrscheinlich das Zauberwort. Das ist die Entsprechung zur heutigen Zeit. Für unsere vernetzte Zeit ist es das passende Genre.

tele: Ist es für Sie denkbar, in nächster Zeit so ein Serienprojekt zu starten?
Karl Markovics: Auf jeden Fall. Es gibt zwar noch keine konkreten Pläne, aber es gibt einen Stoff, den ich mir für so ein Format vorstellen kann. Insofern könnte es sich kaum besser treffen, dass ich jetzt schon so viele Kontakte in diesem Bereich geknüpft habe … (lacht). Das ist noch Zukunftsmusik, aber das ist etwas, was ich mir in der richtigen Konstellation auch als Filmemacher vorstellen kann. Früher wurde über Serien ja sehr viel die Nase gerümpft. In Amerika ist das schon lang vorbei, und bei uns hört es jetzt nach und nach auf. Und zu Recht, wenn man solche Formate wie „Babylon Berlin“ sieht.

tele: Sind sie privat Serien-Fan? Haben Sie überhaupt Zeit dafür?
Karl Markovics: Ich komme nur ganz selten dazu. Serien über lange Strecken zu schauen, dafür habe ich nicht die Geduld. Ich würde mich auch nie als Serienjunkie bezeichnen, hab also auch keine DVD-Boxen, wo ich mir die ganze Staffel von irgendeiner Serie reinziehe. Das könnte ich nicht, das schafft auch mein Kopf nicht, weil ich ja gleichzeitig an meinen eigenen Drehbüchern und Projekten arbeite. Und ich merke: Das vereinnahmt schon sehr.

tele: Wie verhindern Sie es, dass Sie reingezogen werden, wenn Sie eine Serie wirklich interessiert?
Karl Markovics: Ich kann oft schon allein aufgrund der Tatsache, dass ich zwei, drei Tage hintereinander nicht zu einem Fernseher komme, gar nicht weiterschauen. Schon allein aus physischen Gründen …

tele: Danke für das Gespräch!

 

Babylon Berlin Staffeln 1 & 2

Dramaserie. D 2017 Willkommen in der Stadt der Sünde! Der junge Kölner Kommissar Gereon Rath (Volker Bruch) wird in den „Wilden Zwanzigern“ nach Berlin versetzt, um Licht in die Machenschaften eines mafiösen Pornoringes zu bringen. Im Polizeipräsidium lernt er die Stenotypistin Charlotte (Liv Lisa Fries) kennen, sein Partner ist der erfahrene, aber zwielichtige Bruno Wolter (Peter Kurth). Alle zusammen landen in einem Sumpf aus Erpressung, Korruption, Drogen- und Waffenhandel sowie Mord. Und im exzessiven Berliner Nachtleben dieser Zeit … Ein Meisterstück von Tom Tykwer, Henk Handloetgen und Achim von Borries in 16 Akten. Ab 13.10. immer freitags in Doppelfolgen auf Sky 1 und auf Abruf über Sky Go, Sky On Demand und Sky Ticket

 

Kurzporträt Karl Markovics

• Geb. 1963 in Wien
• Schauspieler, Regisseur und Drehbuchautor
• Serienrollen in „Kommissar Rex“ und dem Spin-off „Stockinger“
• Hauptrolle in Stefan Ruzowitzkys „Die Fälscher“ (Oscar!)
• Inszenierte die Kinofilme „Atmen“ (2011) und „Superwelt“ (2015)

 Interview: Franz Jellen

Interviews

Exzess in Serie: Babylon Berlin
Interviews, 12. Oktober 2017
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