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Fußball für Schmähbrüder - Viktor Gernot im Interview

Fußball für Schmähbrüder - Viktor Gernot im Interview
© ORF/Thomas Ramstorfer
Veröffentlicht:
12.06.2012
Wird der neue ORF-Comedy-Talk „Gernots Verlängerung“ die fußballverliebte Schmähkultur in Österreich auf ein neues Level heben? Das tele-Interview mit Viktor Gernot lässt selbiges vermuten. Aber lesen Sie selbst …

Wenn die Fußball-EM 2012 in die heiße Phase geht, geht Viktor Gernot mit seinem neuen Fußball-Comedy-Talk in die Verlängerung. Für seine witzige Live-Gesprächsrunde (ab 21. 6., immer nach dem Match auf ORF eins) schart der beliebte Kabarettist, Sänger und Schauspieler nach den Viertel- und Halbfinalspielen sportinteressierte Kollegen wie Gernot Kulis, Günther Leiner, Thomas Stipsits und Lukas Resetarits um sich. Einen festen Platz in Gernots Talkshow hat auch der jeweilige ORF-Analytiker des tagesaktuellen EM-Spieles: Herbert Prohaska, Frenkie Schinkels oder Roman Mählich werden fachmännisch ihren Senf dazugeben, wenn die kuriosesten Szenen des vorangegangenen Spiels zerpflückt oder pantomimisch nachgestellt werden.

Das große Fußballtheater auf dem grünen Rasen soll jedenfalls ordentlich durch den Kakao gezogen werden. Kein Verbalfoul wird ungeahndet bleiben, kein Hoppala unter den Tisch fallen. Was noch geplant ist: Nachrichtensprecher Paul Kraker als EM-Orakel (nachdem Krake Paul, der hellseherische Fußballversteher, nach der WM 2010 verstarb), die Verkostung von Nationalgerichten der jeweiligen Gegner und das gemeinsame Schlusslied mit Viktor Gernot an der Gitarre. Grenzgeniale Interpretationen von „Gute Freunde“ oder „Rostige Flügel“ sind zu erwarten.

tele: Wie läuft „Gernots Verlängerung“ genau ab? Wo schaut ihr euch die Spiele an?

Viktor Gernot: Das ist alles live, unmittelbar nach den Viertel- oder Halbfinali. Wir sind immer schon am späten Nachmittag im ORF-Zentrum, schauen uns das Match gemeinsam an und gehen dann mit dem Publikum, das Public-Viewing-mäßig dabei ist, rüber ins Studio und machen die Sendung.

tele: Wie würdest du die Sendung charakterisieren?

Viktor Gernot: Wir nehmen uns vor – nachdem zu dem Zeitpunkt Fußball zumindest in unserer Welt Fußball Thema Nr. 1 und auch die ernsteste Sache der Welt sein wird –, dass wir die Dinge, die da passieren, freiwillig komisch nehmen. Es passiert ja immer wieder unfreiwillig Komisches und einiges Erheiterndes kann schon die Sportberichterstattung abdecken. Wir Komödianten und Komödiantinnen nehmen uns vor, das Ganze ernst zu nehmen und darüber auch noch gehörig Witze zu machen.

tele: Wer ist denn der größte Fußballexperte unter den Comedians in der Sendung?

Viktor Gernot: Ein paarmal dabei ist der Resetarits Lukas, worüber ich mich sehr freu’. Der ist bekanntlich Ex-Ligakicker, hat Meisterschaft gespielt und ist sehr Fußball-affin. Dasselbe gilt für Gernot Rudle, der bis in die letzte Zellmembran grün-weiß ist – und soweit ich weiß auch die Monika, seine Frau. Auch die Ulli Beimpold, die uns ein- oder zweimal besuchen wird, ist als Frau eine durchaus Fußball-affine Persönlichkeit. Soweit ich weiß, sind alle, die zugesagt haben, Fußballfans. Entweder sie haben selbst einmal gespielt oder sie schauen sich einfach gern Matches im Fernsehen oder im Stadion an. Stellvertretend für alle acht Millionen Teamchefs, die dieses Land hat. Roman Mählich, Frenkie Schinkels und Herbert Prohaska haben sich dankenswerterweise auch verpflichtet. Der Chefanalytiker, der gerade Dienst hat, wird uns also als einziger Fachmann des Abends unterstützen.

tele: Wie stark bist du selbst mit dem Fußball verbunden? Man kennt dich ja in der Öffentlichkeit mehr als Tennisfan und –spieler.

Viktor Gernot: Ich hab’ selbst nie Meisterschaft gespielt, aber in diversen Hobbymannschaften gekickt. Und ich schau immer Fußball. Das Nationalteam sowieso, ich fiebere aber auch sonst immer mit, wenn österreichische Mannschaften international was weiterbringen. In den letzten Jahrzehnten ist da ja einiges passiert. Zum Beispiel mit Austria Salzburg, wie’s noch nicht Red Bullinger waren. Und natürlich Sturm Graz und die großen Wiener Teams, Violett und Grün-Weiß - da bin ich nicht festgelegt, ich bin einfach Fan des österreichischen Fußballs.

tele: Welche Steilvorlagen erwartest du dir denn von Trapattoni und Co? Und wenn du’s dir aussuchen könntest: Worüber würdest du denn in deiner Sendung besonders gerne herziehen? Was wäre das größte Geschenk, das ein Spieler oder Trainer dem Talk-Gastgeber Gernot während der EM machen könnte?

Viktor Gernot: Herausragend sind natürlich Wutanfälle, kleine Rangeleien, vorgetäuschte Verletzungen, Theatralik. Wenn jemand nicht einmal annährend im Gesicht getroffen wurde und der fliegt schon um die Erd’. Und dann natürlich die schönsten Schwalben im Strafraum, aber auch so richtig schöne Hoppalas, wie der Lattenpendler auf den Hinterkopf des Tormanns, der dann den Ball ins eigene Tor köpfelt. Wenn jemand wirklich wunderbar den Fußballschneuzer macht und man sieht schön in Zeitlupe, wie so ein grüner Klumpen aus dem linken Nasenloch von einem 80-Millionen-Euro-Fußballer rauskommt. Also das sind die Dinge, auf die wir achten. Wir werden auch auf die Garderobe der Spielerfrauen schauen, wie sehr der Trainer und die Co-Trainer das Spiel beobachten. Was man im Publikum, bei den Fans, an Choreographien oder eben auch an Kuriosa erleben kann. All diese Geschichten .., es bietet sich potentiell sehr, sehr viel an.

tele: Gibt’s heute im Fußball noch genug Entertainer – oder ist die gute alte Zeit mit Typen wie Toni Polster längst vorbei?

Viktor Gernot: Also so Typen, die wirklich polarisieren, aber auch bewegen, wie eben ein Toni Polster und die Generation mit dem Krankl Hansi und dem Prohaska und auch die Jahre davor mit einem Buffi Ettmayer, sowas gibt’s heute natürlich nicht mehr. Jemand, der mit Sprüchen und seinem Auftreten Schlagzeilen machen kann. Aber alles ist möglich, nix ist fix. Den Entertainment-Faktor gibt es schon noch. Früher gab es ja rund um den Sport eine reine Informations-Berichterstattung. Heute kommt auch bei den Fans mehr Entertainment dazu. Auch bei den guten Fans - sag’ ich mal unter Anführungszeichen – gibt’s heute die Choreografien, die Gesänge. Das, was man jetzt in den Stadien erlebt, das hat’s in dieser strukturierten und teils genialen Form vor Jahrzehnten noch nicht gegeben. Also Sport wird immer mehr verwoben mit Entertainment. Was natürlich dem Sport auch hilft. Denn wenn viele Leute zuschauen, wird das Ganze auch für Werbepartner attraktiver, es kommt mehr Kohle rein, das Ganze kann anders präsentiert werden. Es gehört alles zusammen. Die Fußball-Kultur hat sich sowohl auf dem Spielfeld als auch bei den Fans verändert.

tele: Warum werden Fußballer so gern als die Blöden hingestellt? Warum ist das Klischee vom dummen Kicker allgegenwärtig?

Viktor Gernot: Na ja, weil es zum Teil natürlich auch bedient wird. Ich hab’ ja fast Mitleid, wenn junge Buam, die gerade 90 oder 120 Minuten gespielt haben, 14 Kilometer in den Beinen haben und völlig leer sind plötzlich im Scheinwerfer einer Kamera stehen und etwas erklären sollen. Ich glaube, es ist auch was anderes, wenn du – keine Ahnung – links hinten in der Verteidigung spielst und das Match aus der Sicht des Spielers beurteilen musst und nicht wie ein TV-Zuschauer 18 Kameras zur Verfügung hast. Wenn einer dann noch irgendwie einen breiten Wiener Dialekt spricht und die Fallgebung und die Grammatik nicht die Nummer eins in der Wichtigkeitsskala sind, dann kann’s eben zu wahnsinnig lustigen Dingen kommen.

Es ist in Österreich auch so: Wenn ein Skifahrer Tirolerisch, Kärntnerisch oder Steirisch spricht, finden wir das alle unglaublich charmant. Wenn aber die Kicker dann ihre Dialekte auspacken, wird das schnell mit dem Prädikat „blöd“ versehen.

Aber ich hab schon viele Kicker kennen gelernt. Und in einem Sport, der diese weltweite Verbreitung hat, irgendwas weiter zu bringen, eine Karriere zu haben – das kann man als dummer Mensch nicht. Vielleicht ist einer ja wirklich nicht der beste Redner. Aber man kann nicht deppert sein und gut Fußball spielen.

tele: Intelligenz und Spielintelligenz: Ist David Alaba ein Spielertyp, der das verkörpert? Hätten wir es mit elf Alabas zur EM geschafft?

Viktor Gernot: Nein, weil dann hätten wir auf bestimmten Positionen garantiert Probleme. Aber elf Leute mit diesem Talent und dieser Professionalität und mit diesem Fokus auf das, was er tut – das kann man sich nur wünschen. Dass man elf junge Spieler zusammenbringt, die den gleichen Biss haben wie David Alaba.

tele: Es gibt bei Fußballern eine große Bandbreite an Schauspielerei und Theatralik. Selektiert ihr da im Vorfeld der Sendung schon vor oder reagiert ihr ganz spontan auf das, was kommt?

Viktor Gernot: Wir haben natürlich schon eine ganze EM-Vorrunde hinter uns, wenn wir beginnen, da wird es schon einige Schätze geben. Und ich glaube, wir werden immer wieder mal Bezug auf den österreichischen Fußball nehmen. Da gibt es auch einige Schätze, die halt schon ein paar Wochen, Monate oder Jahre alt sind, einen Fundus an Dingen, an denen wir uns erfreuen können. Sonst müssen wir halt spielaktuell, tagesaktuell darauf warten, was an diesem Tag passiert.

Man muss da auf alles gefasst sein. Nachdem es live ist und wir über ein Spiel sprechen, das gerade vor einer halben Stunde aufgehört hat, wird viel improvisiert werden und viel echtzeitig sein, wie man so sagt.

tele: Hast du auch ein bisschen Bammel davor, in einem Live-Talk immer schlagfertig und witzig auf aktuelle Fußball-Geschehnisse reagieren zu müssen?

Viktor Gernot: Bammel nicht, aber Respekt. Aber ich bin ja nicht allein, wir haben jedes Mal vier Komödiantinnen oder Komödianten und den Chefanalytiker des ORF dabei. Da kann ich die Verantwortung mit der Schmähdichte natürlich durch 5 oder durch 6 teilen. Das ist das Angenehme. Wenn’s jetzt nur an mir hängen würde, würde ich sagen: Sechs Mal eine Dreiviertelstunde live in zwei Wochen? Seid’s deppert? Aber in dem Fall kann ich sagen: Wir sind ein Team. Wir haben Respekt vor dieser zu bewältigenden Aufgabe, doch die Vorfreude überwiegt. Aber es wird spannend. Für uns auf jeden Fall … (lacht)

tele: Hast du dir zur Einstimmung ähnliche Sendungen angeschaut, etwa „Waldis Club“ in der ARD?

Viktor Gernot: Nicht extra. Als Österreich in der EM-Qualifikation gegen Deutschland gespielt hat, hab’ ich mir „Waldis Club“ einmal angesehen. Es gab ja auch schon andere Versuche, komödiantisch nachzuwirken. Das nimmt man wahr, aber unser Talk wird sich von selbst unterscheiden, weil wir ja weder Bayern noch Deutsche sind und auch die Besetzung unserer Comedians eine andere ist. Also das Prinzip hat Ähnlichkeit, aber wir werden sehr österreichisch und sehr autochthon sein (schmunzelt)

Tele: Und der Anspruch dürfte wohl sein, den besseren Schmäh zu haben ...

Viktor Gernot: Für unseren Geschmack nehm’ ich das auf jeden Fall an. Die Deutschen finden uns ja auch nicht immer so lustig. Das ist einfach so.

tele: Fehlt den Deutschen auch im Fußball der gewisse Schmäh und die Leichtigkeit? Hat das DFB-Team auch deshalb seit 1996 keinen großen Titel mehr gewonnen?

Viktor Gernot: Ach, darauf würde ich es jetzt nicht reduzieren. Aber sie haben in den Jahrzehnten davor so oft so viel Glück gehabt! Das Schicksal hat in den letzten Jahren einfach zurückgeschlagen, als Bewerbsmannschaft sind sie aber immer stark. Vielleicht haben sie ja diesmal das Glück, dass es wieder einmal in der 91. Minute einen Lattenpendler zu ihren Gunsten gibt. Oder – nachdem der Robben ja nicht im deutschen Team spielt – vielleicht auch einmal einen verwerteten Elfmeter (lacht).

So deutsch ist aber die Mannschaft jetzt gar nicht mehr, sie haben heute ihre Podolskis und Kloses und Özils. Das wird wohl auch der Erfolg der kommenden österreichischen Jahre sein, wenn die Junuzovics, Arnautovics und Alabas aufspielen. Die haben noch den Hunger und den Biss, alles daran zu setzen, mit Fußball ein Leben und eine Karriere zu bestreiten. Man muss ja nur nach Frankreich schauen: Die „Les Bleus“ praktizieren das seit den Neunzigern. Das, was man unter einem Baguette tragenden Franzosen versteht, findet man da ja auch kaum noch. Und das ist gut so.

tele: Wie heißen deine EM-Favoriten, wen siehst du als Außenseiter?

Viktor Gernot: Ich rechne wieder mit einem Finale Deutschland gegen Spanien und irgendwie hab‘ ich das Gefühl, dass die Deutschen diesmal gewinnen werden. Es muss für die Spanier schwer sein, die Motivation aufrecht zu erhalten, weil die ja in den letzten Jahren alles gewonnen haben. Sie spielen fantastisch, aber ich hab’ irgendwie das Gefühl, die Deutschen werden diesmal den Titel holen.

Ein ganz starker Geheimfavorit ist für mich Frankreich. Und ich glaube Mannschaften wie Italien, Holland und Portugal – da sind einige nicht zu unterschätzen. Das kann auch komplett überraschend werden.

tele: Wem drückst du die Daumen, auf welche Kicker freust du dich besonders?

Viktor Gernot: Mir imponiert der neue deutsche Stil, die Handschrift von Jogi Löw gefällt mir sehr gut. Beeindruckend finde ich immer, wie die Spanier spielen. Diese Kontrolle, dieses Tempo, dieses präzise Kurzpassspiel und wie schnell sie umschalten, das ist einzigartig in Europa.

Zu erwarten ist natürlich, dass wieder Leute wie Mesut Özil ihre Glanzlichter setzen. Da gibt’s genug Leute, die eh schon seit einigen Jahren ihren festen Platz im Fußball-Olymp haben. Wenn die Portugiesen begreifen, dass sie den Ronaldo besser in die Mannschaft einbauen müssen, könnten sie ihn noch viel besser in Szene setzen. Dann natürlich Rooney, wenn er für England in die EM einsteigt, und Ibrahimovic bei den Schweden – ich hoffe die kommen ein bisschen weiter, damit der was zeigen kann. Ich würde mich aber auch freuen, wenn wieder jemand so aus dem Nichts emporsteigt. Wenn da jemand kommt, wie der Thomas Müller bei der letzten WM, irgendein 19-jähriger Bub, der plötzlich als Spielmacher oder Torschütze alle schwindlig spielt – das ist das Tolle an so großen Bewerben, dass da wirklich Sterne geboren werden.

tele: Gibt’s für dich eine Doppelbelastung, weil Wimbledon zeitgleich mit deinem Live-Talk beginnt?

Viktor Gernot: Also ich bin diesen Sommer im Vollstress. Ich werde nach der letzten Sendung, nach dem letzten Halbfinale, mit Auftritten aufhören müssen. Ich muss mich dann erholen, Wimbledon schauen und nachher noch die Olympischen Spiele. Als Sportfan ist man in diesem Sommer wirklich gefordert (lacht).

tele: Danke für das Gespräch!

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