Spielräume

Der 25. Juli 1965 ist in die Geschichte eingegangen als jener Tag, an dem Bob Dylan beim Newport Folk Festival zum Schock vieler Folkfans mit elektrischer Gitarre spielte. Am selben Abend desselben Festivals stellte Folk-Revival-Ikone Pete Seeger dem Publikum seine gerade einmal eine Woche alte Nichte Sonya als jüngste unter den Zuhörenden vor. Old-Time-Sänger Roscoe Holcomb war einer derjenigen, die das Baby backstage am Schoß wiegten. Auch sie, Sonya Cohen Cramer, Tochter von John Cohen und Penny Seeger, wurde Sängerin, verfolgte aber keine geradlinige Karriere. Sie arbeitete auch als Malerin und Grafikerin und gestaltete etwa einige Album-Covers des Labels Smithsonian Folkways. Dessen Gründer Moses Asch war ihr Pate. Als Sängerin hat Sonya Cohen Cramer verschiedentlich gewirkt: an der Seite von Familienmitgliedern, mit Sängerin Elizabeth Mitchell Littleton, für die sie zuvor einige Plattencovers entworfen hatte, oder bei der vom Komponisten Dick Connette ins Leben gerufenen Formation Last Forêver, die sich zum Ziel setzte, die Musik der US-Folktradition in "Chamber Folk" zu verwandeln _ mit auskomponierten zeitgenössischen Arrangements und teils eher Folk-untypischen Instrumenten wie Spinett und Cello. In all diesen unterschiedlichen Settings besticht Sonya Cohen Cramer durch die Einfachheit, Klarheit und sanfte Eindringlichkeit ihrer Stimme und ihre stets stark am Text verankerte Interpretation, was ihr glühende Fans in Musikkreisen beschert hat; einem größeren Publikum blieb sie hingegen weitgehend unbekannt. 2015 ist sie mit nur 50 Jahren an einer Krebserkrankung gestorben. Jetzt hat ihr das Label Folkways das liebevoll gestaltete Compilation-Album "You've Been a Friend to Me" gewidmet, mit ausführlichen Texten von familiären und musikalischen Wegbegleitern.