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Tiny Dancer, große Freude

Tiny Dancer, große Freude
© ALBERTO PIZZOLI / AFP / picturedesk.com
Veröffentlicht:
17.05.2019
Erste Freuden und schlaue Erkenntnisse über die Filmgeschichte am 2. Tag in Cannes, von Elton John bis Barbara Streisand (und Udo Kier, eh klar).

Von Julia Pühringer aus Cannes

Oh welch herrlicher, welch unmöglicher Film: „Bacurau“ vom brasilianischen Filmemacher Kleber Mendonça Filho, der 2016 mit dem großartigen „Aquarius“ Hauptdarstellerin Sônia Braga als willensstarker Altmieterin eine echte filmische Ode schrieb. Sie ist auch bei „Bacurau“ mit dabei, ein Film, der vage in der Zukunft spielt und eine Horde selbstgerechter Faschisten auf Menschenjagd in einem weitabgelegenen brasilianischen Kaff zeigt. Das tut er mit böser Ironie und ziemlicher Heftigkeit, allerdings ohne dabei eine Sekunde lang menschenfeindlich zu werden, es ist ein absurdes, bizarres, bildgewaltiges Stück mit lauter politischer Haltung und einem manischen Udo Kier der besten Sorte.

Dann gab’s den ersten lauten krachbunten glitzerfummeligen Höhepunkt des Festivals, auch wenn die Arthouse-Filmkritik es sich nicht anmerken lassen wollte, als sie zu Tausenden frühmorgens gemeinsam „Rocketman“ anschaute, das höchst mitreißende Elton-John-Biopic samt sensationeller Musical-Einlagen. Sitztanz und Freude im Publikum wurden misstrauisch beäugt. Dabei schafft Regisseur Dexter Fletcher neben einem ganz ordentlichen Biopic mit höchst einfallsreicher Einbindung diverser legendärer Elton-John-Hymnen („Rocketman“ selbst ist höchst eindrucksvoll und sehr leise eingesetzt) inklusive Krankenbahren-Ballett auch eines: Die Erzählung einer komplexen Jugend, von Kriegstraumata der Elterngeneration und der Sehnsucht nach Freiheit und, vor allem, von einer lebenslangen Männerfreundschaft zwischen einem homosexuellen und einem heterosexuellen Protagonisten, und, so selbstverständlich das auch klingt, so enorm selten ist es in Blockbusterfilmen tatsächlich zu sehen. Und Taron Egerton in der Hauptrolle zuzusehen, ist schlicht ein großes Vergnügen.

 Making Waves

Neben den zu erwarteten großen US-Filmen und kleineren Arthouse-Sensationen (und -Failures detto) liefert Cannes wie auch sonst verlässlich Filmgeschichte. Dies nicht nur durch die Film-Klassiker, die „Cannes Classics“, sondern mit der höchst eindrucksvollen und einfallsreichen Doku „Making Waves: The Art of Cinematic Sound“ vn Midge Costin. Sie erzählt die Geschichte des Tonfilms und zwar auf eine sehr sensationelle und tatsächlich nur im Kino konsumierbare Weise: Mit zahllosen Filmbeispielen samt – und das ist die große Kunst dieses Films – Hörbeispielen. Dazu gibt es Interviews mit legendären FilmemacherInnen wie George Lucas, Steven Spielberg, David Lynch, Barbra Streisand, Ang Lee, Christopher Nolan und Sofia Coppola. Und die Erkenntnis, dass Barbra Streisand auf eigenes finanzielles Risiko den Tonfilm revolutionierte. Und nein, dass hier sehr viele Frauen und viele people of color zu Wort kommen, ist kein Zufall. Ein Lichtblick, diese Doku, und ein Erweckungserlebnis auf vielen Ebenen.

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