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KriegerInnen: Neues aus Cannes, Teil 2

KriegerInnen: Neues aus Cannes, Teil 2
Veröffentlicht:
15.05.2018
Halldóra Geirharðsdóttir in „Woman at War“ und Eva Hussons „Les Filles du Soileil“.

Von Julia Pühringer

Eva Hussons „Les Filles du Soileil“ beschäftigt sich mit einer Gruppe von Kurdinnen, die sich nach ihrer ISIS-Gefangenschaft und der brutalen Ausbeutung als Sklavinnen als Widerstandskämpferinnen zusammenschließen. Der Film holpert stellenweise, hat aber mit Golshifteh Farahani „Paterson“ und Emmanuelle Bercot als Kriegsreporterin zwei durchaus beeindruckende Schauspielerinnen an Bord. Die Bilder von Frauen im Krieg alleine zeigen, welch Potenzial die Geschichte hätte, gängige Bilder vom Krieg und vom Auflehnen aufzubrechen, wenn denn nicht die Dialoge und der Soundtrack sich gar so schwer über den Film legen würden.

Ebenfalls kriegerisch ist Hauptdarstellerin Halldóra Geirharðsdóttir in „Woman at War“ unterwegs: Die engagierte Chorleiterin aus Island bekämpft in ihrer Freizeit in Islands Wilder Natur (ja, in Begleitung einer Band, die den Soundtrack gleich vor Ort liefert) die örtliche Aluminiumindustrie – und will ein Kind adoptieren. Benedikt Erlingssons Tragikomödie erzählt auf beglückende, absurde Weise von den Kämpfen, die es gilt, zu führen, der Film lebt von seiner hinreißenden Hauptdarstellerin.

Lucas Dhonts Drama „Girl“ beschäftigt sich eindrücklich mit einem Transgender-Teenager, bleibt aber streng beim Arthouse-Zugang: Wenig Spaß, viel Tragik, und auch wenn Hauptdarsteller Victor Polster ganze Arbeit leistet, wird auch die zusätzliche Frage, warum es denn keine Transgender-Hauptdarstellerin weit und breit gab, noch öfter auftauchen. Immerhin: Es ist schön, im Arthouse-Kino auch einmal eine wohlwollende Familie zu sehen, die versucht, alles richtig zu machen.

leave no traceAlles richtig machen wollen ebenfalls die ProtagonistInnen von Debra Graniks neuem Meisterwerk „Leave No Trace“. Graniks Debutfilm „Winter’s Bone“ räumte 2011 vier Oscarnominierungen ab und katapultierte eine damals junge unbekannte Schauspielerin namens Jennifer Lawrence in den Kinoolymp. Diesmal erzählt sie vom Leben unterm Radar: Kriegsveteran Will (Ben Foster) lebt mit seiner halbwüchsigen Tochter Tom (Thomasin McKenzie) in einem Zelt im Wald eines Naturschutzgebietes. Er ist vorsichtig, Auf- und Abbau der Lagerstätte folgen genauen Mustern, die möglichst spurenlos bleiben sollen, die Behörden sollen nicht auf die beiden aufmerksam werden. Irgendwann meldet ein Jogger, dass er etwas gesehen hat und die beiden fliegen auf, landen in einer Einrichtung, man hilft ihnen. Doch Will hält es nicht im reglementieren Leben unter Menschen. Und Tom muss sich von ihrem Vater und seinen Vorstellungen langsam lösen … Auch hier berührend zu sehen, wie auch Nebenfiguren Tom helfen wollen, die richtigen Fragen stellen, Rücksicht auf Bedürfnisse nehmen. Ein Film, der ganz leise von großen Dingen erzählt.

Eben das tut gewohnt eindrucksvoll auch Alice Rohrwacher in „Lazzaro Felice“. Schon genauso herrlich war „Le meraviglie“, der 2014 in Cannes lief und für die Goldene Palme nominiert wurde. In einer zeitlich nicht genau verortbaren Vergangenheit wird von den LandarbeiterInnen einer bösen Schloss- und Tabakplantagenbesitzerin ein junger Mann ausgebeutet, der es den anderen durch seine pure Liebenswürdigkeit leicht macht. Rohrwacher erzählt vom Arbeiten am Land, von Verrat, von Abhängigkeitsverhältnissen. Manchmal wird sie dabei überdeutlich, aber der Film ist auf ganz wundersame Art in der Geschichte des italienischen Kinos verhaftet.

10.61.5.115