Cannes 2019: Stars & Zombies und wo bleibt der Punk?
Jim Jarmusch hat also einen Zombie-Film gemacht, „The Dead don’t Die“. Mit vielen Menschen, die im Jarmusch-Universum Rang und Namen haben, Publikumsliebling Bill Murray, zum Beispiel, oder Adam Driver, oder der Filmgöttin Tilda Swinton und Chloé Sevigny. Für einen glanzvoll besetzten roten Teppich bei der Premiere war also fix gesorgt, die Stimmen zum Film bleiben allerdings verhalten. Leicht wirre Hipster-Kritik an Trump? Klar geht ein Schlachtruf wie „Chardonnay“ in Cannes runter wie Öl, doch der Romero-Vergleich scheint sicher zu machen: Das geht besser. Schon Jarmuschs leicht dröger Film „Paterson“ im Jahr 2016 ließ bereits viele müde aufseufzen: Punk ist anders.
Cannes und Punk, geht das zusammen? Ja und nein. Ein Eröffnungsfilm braucht jedenfalls hauptsächlich viele Stars und große Namen. Es hat schon seinen Grund – übrigens auch bei der Berlinale – wenn so mancher Eröffnungsfilm nachdem er diesen Zweck erfüllt hat, zumindest am internationalen Markt relativ sang- und klanglos wieder verschwindet. Auch Hardcore-Festival-Profis können durchaus nicht alle Eröffnungsfilme der letzten zehn Jahre benennen. Man mag behaupten, das liegt am derzeitigen Zustand des Arthouse-Kinos auf der Welt. Aber das ist es nicht allein.
Ein Festival, das sich gern, oft und laut auf die Fahnen heftet, nur die besten Filme der besten zu zeigen, greift trotzdem oft sehenden Auges in den Gatsch. Das hat mit den oben erwähnten Stars zu tun, die es für eine gepflegte internationale Berichterstattung braucht – wen interessiert Punk, wenn man so will, wenn niemand „daheim“ die ProtagonistInnen oder die Filme kennt? – andererseits wirft die Tatsache auch noch andere Fragen auf. Was ist „das Beste“? Und wer sind „die Besten“? Und wer und welche Faktoren bestimmt das überhaupt? Die Film-Kanon-Schreibung beginnt oft bei Filmfestivals.
Mati Diop („Atlantics“, im BIld), Jessica Hausner („Little Joe“), Céline Sciamma („Porträt of a Lady on Fire”) und Justine Triet („Sibyl”) heißen jene vier Filmemacherinnen, die heuer neben 17 Filmemachern im Wettbewerb vertreten sind. Und schon verschwinden ihre Namen aus den Headlines, werden sie zu „berühmter Filmemacher x, berühmter Filmemacher y und vier Frauen“. Vier von siebzehn als genialen Wurf und großen Fortschritt zu bezeichnen, dafür werden uns zukünftige Generationen hoffentlich noch zünftig auslachen. Auch dass mit Mati Diop 2019 die allererste nicht-weiße Filmemacherin im Wettbewerb vertreten war. Doch dasselbe Problem gilt auch an anderer Front, so beispielsweise in Überblicken über kritische Stimmen zum Eröffnungsfilm, die keine einzige Kritikerin zitieren.
Sagen wir so: Es wird, aber es wird langsam. Eines steht jedenfalls fest – die kritischen Stimmen werden lauter und sie finden mehr Gehör. Immerhin gibt es seit heuer (!) Kinderbetreuung beim Festival – bis vor kurzem durfte man noch nicht einmal mit einem Neugeborenen das „Palais des Festivals“ betreten, weil es keine Akkreditierung hatte. Tatsache.
Immerhin ziert eine Regie-Göttin das diesjährige Poster von Cannes, ein tatsächlich ziemlich sensationeller Wurf: Die heuer über 90-jährig verstorbene Agnès Varda beim Dreh ihres Debutfilms „La Pointe Courte“. Dass noch vor zwei Jahren einige Journalisten bei den Interviews mit der Legende hauptsächlich über die „berühmteren“ Kollegen in ihrem Leben wollten und nicht über ihr eigenes Werk – geschenkt.
Von Julia Pühringer aus Cannes