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Nazis in England? „SS-GB“-Hauptdarsteller Sam Riley im Interview

Nazis in England? „SS-GB“-Hauptdarsteller Sam Riley im Interview
© Sky
Veröffentlicht:
13.11.2017
Was wäre, wenn? Der Nazi-Noir-TV-Fünfteiler ist ab sofort on demand erhältlich. Ein Gespräch über Faschismus, Selbstschutz, Humphrey Bogart, seine Zeit mit der schlechtesten Band Englands und schöne Schuhe.

Interview: Julia Pühringer

Sam Rileys Darstellung von Joy-Division-Frontman Ian Curtis im Arthouse-Biopic „Control“ von Anton Corbijn war mit Sicherheit sein Durchbruch als Schauspieler, bekannt hierzulande wurde er definitiv mit seiner Rolle in Andreas Prochaskask legendärem wie einzigartigen Alpenwestern „Das finstere Tal“. Privat lebt der britische Schauspieler mit seiner Frau, der Schauspielerin Alexandra Maria Lara in Berlin.

tele: Werden Sie jetzt immer gefragt, wenn es britische Schauspieler braucht, die auch Deutsch sprechen?
Sam Riley: Von uns gibt's ja nicht allzu viele. Andererseits, jeder Muttersprachler würde das in Frage stellen, ob ich echt Deutsch spreche (lacht).

Wenn man ein Szenario spielt, in dem die Nazis gewonnen hätten – fragt man sich dann auch, wie man damals wohl gehandelt hätte?
Ja klar. Diese Frage war für mich auch einer der verlockenden Aspekte der Story und des Drehbuchs. Für meine Figur ist das ja zu Beginn keine so klare Entscheidung. So ging es in der Situation ja vielen Menschen: Was ist das richtige für dein Land, für deine Familie? Als Vater ist es sicher eine schwierigere Entscheidung, ob man den Kopf unten behält oder sich auflehnt.
Natürlich denke ich gern, dass ich im Widerstand gewesen wäre. Aber wir wissen, wie realistisch das ist. Ich habe mir zur Vorbereitung eine sehr gute Doku über die Nazi-Besetzung von Frankreich angeschaut, „Das Haus nebenan – Chronik einer französischen Stadt im Kriege“ von Marcel Ophüls. Der Film war in Frankreich lange verboten, weil er der allgemeinen Wahrnehmung sehr widersprach. Viele reiche Leute und Leute von der Mittelklasse haben mit dem Faschismus sympathisiert oder haben sich nicht aufgelehnt, solange sie behalten konnten, was sie hatten. Es waren hauptsächlich Bauern und Kleinbauern, die tatsächlich im Widerstand waren.

Warum ist das so?
Vermutlich reiner Selbstschutz. Gier. Und Angst. In England stellen wir uns das ja oft so vor, die Nazis haben Europa erobert. Aber vorher haben sie Deutschland erobert, verstehen Sie, wie ich meine? Mit dieser Taktik aus Angst, Mobbing und Schrecken. Da braucht es schon sehr starke Leute, sich dagegen zu wehren. Es hat sich ja auch rasch herumgesprochen, was den Leuten passiert ist, die das versucht haben.

 

 

Hat die Serie jetzt eine besondere Relevanz? Das Wiedererstarken des Faschismus ist ja weltweit Thema ...
Man ist versucht, Parallelen zu ziehen. Man kann den Aufschwung des rechten Populismus in Europa nicht ignorieren.

Will jetzt jeder mit Ihnen über Donald Trump reden?
Ja (lacht), ich habe meinen Kollegen schon gewarnt.

SS GB Ep3 13Wie ging es Ihnen mit dem Kostüm? Der Hut, der Mantel wie im Film noir, macht das etwas mit einem?
Ja klar passiert da etwas. Ich bin ein Fan von Film Noir, vor allem die mit Humphrey Bogart, aber nicht nur. Die Ära an sich und die Kostüme – zum Schauspielen gehört definitiv dazu, dass man sich gern verkleidet.

Haben Sie den Hut behalten?
Ich habe viel behalten! Ich trage die Schuhe sogar jetzt. Die waren echt teuer.

Es geht in der Serie um eine Art „Was wäre, wenn“-Moment. Hatten Sie sowas auch einmal in Ihrer Karriere?
Ja, sie begann mit einer Art Glücksmoment. Ich wollte als Teenager Schauspieler werden. Dann habe ich das Schauspielen aufgegeben, um Musiker zu werden. Ich dachte, ich würde als Musiker nie ernstgenommen, wenn ich vorher einmal in einer Soap mitgespielt hätte. Dann ist meine Musik-Karriere gescheitert, das war eine der vernichtendsten Kritiken, die im New Musical Express, der englischen Musik-Bibel, je erschienen sind.

Was haben die geschrieben? Sie wissen das doch sicher noch auswendig ...
Klar! Ich weiß sogar den Namen des Redakteurs! Sagen wir so: Er war kein Fan. Es war schrecklich. Wir haben einen von zehn Sternen bekommen. Zum damaligen Zeitpunkt gab es nur zwei Bands, die je so schlecht bewertet worden waren. Wir wollten unser Label davon überzeugen, dass „die schlechteste Band Englands“ ein Verkaufsargument ist, aber die haben das anders gesehen. Dann hab ich meine Agentin angerufen und gesagt: Ich mach ab sofort alles. Buchstäblich in derselben Woche suchte man jemanden, der Ian Curtis in einem Joy-Division-Biopic spielen könnte. Und ich hatte die letzten fünf Jahre professionell gesungen. Und Anton Corbijn suchte jemand Unbekannten. Und weil meine Band so schlecht war, kannte mich keiner. Und ich habe bei dem Film meine Frau kennengelernt und bin deshalb nach Berlin gezogen und habe als Schauspieler Karriere gemacht.

Hatten Sie von „SS-GB“-Regisseur Philipp Kadelbach zuvor aus Deutschland schon gehört?
Meine Agentin hat mir die Prämisse der Serie genannt, das hat mir gefallen, teilweise auch, weil es eine Hauptrolle war, das hat mein Ego gebauchpinselt.

Es gibt ja mehrere Szenarios, in denen die Nazis gewonnen hätten, z.B „The Man in the High Castle“ …
Davon hab ich erst gehört, als wir schon eine Woche lang gedreht haben (lacht). Aber das basiert ja auf Philip K Dick und spielt nach dem Krieg. Lens Roman aus den 1970ern basiert ja auf den tatsächlichen Plänen der Nazis, England zu übernehmen, auch wenn die dann keinen Erfolg hatten. Also auch wenn es eine fiktive Show ist, hat es quasi mehr Realität, wenn man das so sagen kann. Fantastisch ist auch, dass alle Deutschen von bekannten deutschen Schauspielern gespielt werden. Und die Amerikaner werden von Amerikanern gespielt. Man kennt das ja, wenn im Sonntag-Abend-Fernsehen ein englischer Schauspieler einen schlechten Deutschen Akzent nachmacht. Da haben wir mehr Authentizität.

The Night Manager“ lief auch am Sonntagabend im britischen TV und hat drei Golden Globes gewonnen ...
Machen Sie mir nur keinen Druck (lacht brummelnd)! Mein Vater hat es wohl am besten ausgedrückt: Diesmal werden das tatsächlich auch Leute sehen! Mich erkennt ja nur sehr selten jemand. Wir hatten auch ein völlig anderes Budget als „The Night Manager“. Auch wenn wir die Drehbuchautoren eines James-Bond-Films haben, es ist keine Tschingbumm-Serie, eher so wie „Dame, König, As, Spion“. Die Atmosphäre der Okkupation ist eher Atmosphäre statt große Kulisse. Aber ich bin auf jeden Fall nervös, was die Leute sagen werden.

Waren Kriegsfilme für Sie ein Ding?
In England ist das zu Weihnachten ein Fixpunkt. „Gesprengte Ketten“, so Filme. Damit bin ich großgeworden. Ich habe sie verehrt wie alle anderen Schulbuben. Das war dann recht interessant, wenn ich mit meinen deutschen Kollegen gesprochen habe, wenn sie voll kostümiert in die Maske gekommen sind. Auch wenn sie oft international arbeiten, tragen sie in neun von zehn Fällen eine Nazi-Uniform. Da gab es viel schwarzen Humor, „letztens hatte ich noch die und die Position, ich wurde degradiert“.

Wurde viel im Studio gedreht?
Fast gar nicht! Wir haben Scotland Yard im alten St. Martin's College gedreht, drinnen wurden dann Hakenkreuze aufgehängt, auch bei einer U-Bahnstation, aber draußen in den Straßen von London mussten wir aufpassen, damit wir niemand kränken, der von den Nazis tatsächlich betroffen war. Also haben die Schauspieler zwischen den Aufnahmen Ponchos über ihrer Uniform getragen, sie mussten auch die Kappen runternehmen.

Wie ging es Ihnen da, als Sie das erste Mal ans Set gekommen sind?
Ja, das ist schon eine sehr mächtige Symbolik, die die Nazis verwendet haben, sehr beherrschend und angsteinflößend, das „Logo“, wie man das heute wohl nennen würde, ist unvergesslich. Die Kostümleute haben da ganze Arbeit geleistet und die Menschen, die alles designt haben: Die Briefmarken mit Hitler drauf, aber immer noch in Pennys. Es ist noch schockierender, wenn man dann die Komparsen mit dem gelben Stern sieht und anstatt „Juden“ steht da „jews“ auf Englisch. Das sind ernüchternde Momente.

Haben Sie danach irgendwas getan, um das zu verarbeiten?
Ich habe ein Jahr lang nicht gearbeitet. Und in „Free Fire“ von Ben Wheatley spiele ich einen Heroinsüchtigen, der einen Waffendeal vermasselt, quasi das völlige Gegenteil. Aber den habe ich schon vorher gedreht.

Möchten Sie mal wieder in einem Blockbuster wie „Maleficent“ sein?
Ich habe damals beschlossen, mich nicht nur auf‘s Indie-Kino festzulegen. Und Angelina Jolie hat mich gebeten, die Rolle zu übernehmen. Da habe ich nicht lange nachdenken müssen. Alle Szenen hatte ich mit ihr, es hat mir Spaß gemacht. Die drei Stunden pro Tag in der Maske weniger. Aber es gibt trotzdem schlimmere Jobs, als Angelina Jolies Lakai zu sein (lacht).

SS GB DVD OBA KopieAm 14. 11. startet die aufwändige BBC-Produktion „SS-GB“ auf RTL CRIME bei SKY. Ab 20.15 Uhr in deutschsprachiger Erstausstrahlung.

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Interviews, 13. November 2017
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