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Jellens EM-Tagebuch, Teil 2

Jellens EM-Tagebuch, Teil 2
© Franz Jellen
Veröffentlicht:
22.06.2012
Nach dem Tschechen-Beton ist vor dem Griechen-Bollwerk. Portugal hat vorgezeigt, wie man sich nach klarer spielerischer Überlegenheit letztlich nur mit einem hart erkämpften Arbeitssieg ins Halbfinale ballert. Bleibt die Frage: Erleben Jogis Buben heute ihr blaues Wunder? Oder stolpern die Griechen in die sportliche EURO-Pleite?

Im Rückspiegel:

Warschau, 21. Juni, 22.19 Uhr.

Die Frisur hält, Portugal führt 1:0.

Cristiano Ronaldo schenkt dem Kollegen Cech einen Kopfball-Aufsitzer ein, seinem Trainer Paulo Bento einen Sieg zum 43. Geburtstag und sich selbst den großspurigen Auftritt im Blitzlichtgewitter.

„Die Mannschaft war phantastisch. Wir waren besser und haben verdient gewonnen“, tönte der Glamour-Boy nach vollbrachter Tat.

Besser, verdient – ja. Phantastisch? Dazu, mit Verlaub, fehlt den Ibero-Tricksern noch die Effizienz. Doch es war letztlich ein verdienter Erfolg der „Selecção“, weil mit Fortdauer der zweiten Hälfte so einiges klar wurde:

a) Die Tschechen spielten wie verkappte Griechen, nur ohne den hellenischen Biss.

b) Ohne den verletzten Spielmacher Tomas Rosicky fehlte die Schaltstelle im Mittelfeld.

c) Gegen Ende zu war „Flasche leer“, der Saft weg, die Luft raus.

„Man muss sich schon fragen, ob es die Tschechen mitbekommen haben, dass es 0:1 steht“, sinnierte der ZDF-Kommentator verwundert. „Sie spielen einfach weiter wie bisher …“

Tatsächlich waren die Herren Jiracek, Baros und Co platt, da ging nichts mehr. Die Zirkuspferdchen Ronaldo und Nani hatten die tapferen Arbeiter in Rot müde getanzt. Am Ende standen 20 portugiesische Torschüsse drei tschechischen gegenüber, 59,4 Prozent Ballbesitz läppischen 40,6 Prozent.

Ausblick: Alles Euro, oder was?

Das zweite Viertelfinalspiel Deutschland gegen Griechenland entbehrt nicht einer gewissen Ironie – und einer politischen Note. Hier trifft nicht nur fußballtechnisch David auf Goliath, auch wirtschaftlich sind die Germanen den stolzen Hellenen klar überlegen und zu allem Überdruss ist Deutschland auch noch jenes supermächtige EU-Vorzeigeland, das den Griechen kraft Merkozy-Pakt die Euro-Daumenschrauben anlegte.

Umso mehr werden sich die Betonmischer vom Balkan heute abend bei der EURO ins Zeug legen, soviel ist sicher. Die griechischen Gazetten machten auch sofort nach dem Aufstieg in die K.O.-Phase ordentlich Stimmung: „Bringt uns Merkel“ titelte „Goal News“,  „Deine Schuldner haben sich qualifiziert. Angela, mach Dich bereit“, drohte „Sport Day“.

Und Angie Merkel, die ja die Matches in der Ukraine aus politischen Gründen boykottierte, wird auf der VIP-Tribüne in Danzig wohl oder übel zur Symbolfigur der politischen Dimension eines sommerlichen Fußballtheaters, das immer mehr in Richtung „Drama, Baby, Drama!“ geht.

Wird es ein Hass-Spiel? Fußball ist unberechenbar, hochemotional, chaotisch. Ein unbedachtes Wort an der Seitenoutlinie kann einen brutalen Rasenkrieg auslösen, wie der Flügelschlag eines Schmetterlings einen Orkan. Die Griechen wollen gegen den politisch ungeliebten Rivalen „kämpfen, kratzen, beißen“. Sie holten sich 2004 mit einem deutschen Trainer den EM-Pott und werden nicht müde zu betonen, dass „der Geist im Team der gleich wie 2004 ist“.

„Wer gegen uns spielt, muss Blut spucken, will er uns bezwingen!“, heizte Teamchef Fernando Santos auf der letzten Pressekonferenz vor dem brisanten Duell die Stimmung an.

Noch Fragen?

Ach ja, für einen Sieg der Löw-Truppe bieten die Wettbüros Quoten um 1,30:1 an, für den Aufstieg Griechenlands ins Halbfinale ca. 10,0:1. Mit anderen Worten: Wer 10 Euro in die Griechen investiert, bekommt im Erfolgsfall 100 Euro zurück.

Davon können wir im Milliardenpoker mit Namen Euro-Schuldenkrise nur träumen …

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