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Mit 77 Jahren

Mit 77 Jahren
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Veröffentlicht:
29.09.2011
Udo Jürgens im tele-Interview über über seine Songs, seine Frauen und über Fragen, die er nicht hören kann.

Udo Jürgens nimmt sich kein Blatt vor den Mund: Der Entertainer ist ein offener Gesprächspartner, wenn’s um seine Ausnahmekarriere und sein außergewöhnliches Leben geht. Der TV-Zweiteiler "Der Mann mit dem Fagott" heute und morgen auf ORF 2 und ARD, jeweils 20.15 Uhr.

tele: Ist „Der Wein von Porfotofino“ aus dem Film ein echter Song von Ihnen?
Udo Jürgens: Nein. Wir brauchten ein beschissenes Lied, das vor den Klischees der Fünfzigerjahre nur so trieft. Damals musste ein Lied möglichst in Italien spielen, von einem Cowboy handeln, von Heimweh oder einem Seemann. Auch ich hatte Lieder in der Art. Gott sei Dank sind die nicht groß geworden:  Wenn das Dimensionen wie bei Freddy Quinn angenommen hätte, wäre ich niemals zu dem geworden, was ich heute bin. Es gäbe nicht meine Wurzeln im Jazz, die man durchhört, es gäb kein „Ich war noch niemals in New York“, kein „Aber bitte mit Sahne“. Ich wäre ein längst vergessener Schlagersänger. Das war die Rolle der Gitta, meiner ersten Freundin. Die hat mir ganz klipp und klar gesagt: „Du verrätst dich ununterbrochen. Du musst komponieren.“

Die Musik bedeutet Ihnen mehr als die Frauen, sagt Gitta im Film. Stimmt das?
Gitta war, wenn man so will, mein erstes Opfer. Ohne dass ich sie zum Opfer machen wollte. Ich hab sie vergöttert und geliebt. Aber sie hat gemerkt, dass ich eigentlich keine Bindung will. Als junger Sturm-und-Drang-Mensch geht man an die Liebe ja nicht mit Vernunft und Überlegung heran, man stürzt sich ins Abenteuer. Wird den Erwartungen, die an einen gestellt werden, natürlich nie gerecht. Fragen wie „Wo gehst du heute Abend hin?“ will man nicht hören. Das will ich heute noch nicht!

Welchen Stellenwert haben dieses Buch und dieser Film in Ihrem Leben?
Das waren vielleicht die zwölf spannendsten Jahre meines Lebens. Und ich hab wirklich viel erlebt. Ich war Staatsgast in Griechenland, als durch „Griechischer Wein“ der Fremdenverkehr und die Weinindustrie innerhalb eines Jahres um dreißig Prozent zugenommen haben. Ich hab zehn Tage in Saus und Braus gelebt, bin jeden Abend duliö gewesen von dem griechischen Wein, den sie mir natürlich überall hineingeschüttet haben, hab immer einen Cadillac vor der Tür gehabt mit Chauffeur. Ich bin immer meinen Liedern hinterhergefahren. Das ist was Besonderes: Die Lieder sind zuerst da und dann merkst du, dass sie sich verselbstständigt haben. Du spielst gar keine Rolle mehr.

Was sind die nächsten Meilensteine nach Buch und Film?
Das weiß ich nicht. Ich plane nie lange in die Zukunft, weil ich weiß, dass ich nicht kann. Ich werde nie ein Abschiedskonzert geben, ein Abschiedslied schreiben, ich finde, das ist alles Koketterie mit dem Schicksal. Und mit dem Schicksal kokettiert man nicht. Das Schicksal wird den Flügel von meinen Händen wegschieben und dann werde ich begreifen, dass die Zeit vorbei ist. Dieser Tag wird kommen, für jeden kommt der. Solange ich die Kraft und die Lust vor allen Dingen, die Lust, diese Dinge zu tun, solang werd ich das mit Begeisterung tun.

Ihr Film ist Familienaufstellung auf sehr hohem Niveau - Wie besetzt man die eigene Familie?
Es war eine Familie auf hohem Niveau. War. Die ist auch in der Geschichte ein wenig verschwunden, wie das im Laufe der Zeit eben so passiert. Die hohe Zeit dieser Familie war natürlich mein Großvater mit seinen fünf Söhnen. Es war natürlich eine unglaubliche Macho-Familie klarerweise, in einer Zeit, als Macho noch kein Schimpfwort war sondern noch die normale Geisteshaltung der gesamten Gesellschaft.

War das die bessere Zeit?
Ich weiß es nicht. Wir haben inzwischen alle gelernt, dass eine fortschreitende Entwicklung in einer Kultur, wie wir sie in den letzten Jahren erlebt haben, dazu geführt hat, dass wir eine Gesellschaft gemeinsam tragen, Männer und Frauen. In der Zeit zu Beginn des vorigen Jahrhunderts ist es ähnlich wie heute noch im Islam, die Welt wird von Männern getragen. Und das ist unsere Überlegenheit, dass wir heute Männer und Frauen, zwei verschiedene Lebens- vielleicht auch Denkmuster manchmal in Verantwortung sind. Dass Frauen auch in der Verantwortung sind, in leitenden Positionen, in der Familie, wo auch immer. Durch ihre Ausbildung, durch die Möglichkeit die sie haben, in Berufen tätig zu sein, in denen sie früher vielleicht den Kaffee gebracht haben. Ich glaube, eine Gesellschaft, die fähig sein will, die heutige Zeit zu meistern, kann nur diesen Weg gehen. Und das ist auch die Überlegenheit des Westens gegenüber der östlichen Gesellschaftsstrukturen. 

Wie kam es zur Verfilmung des Buches, war das Ihre Idee?
Ich hab immer gesagt, das Buch ist nicht zu verfilmen. Es gab ein paar Filmproduzenten, die die Finger nach dem Buch ausgestreckt haben, und mich angerufen haben, ohne mich offiziell anzufragen. Wie stehst Du zu einer Verfilmung? Sagen die. Ich sagte, es ist nicht verfilmbar. Oder man macht sowas wie früher für's Fernsehen, "Fackeln im Sturm", eine Serie von 15 Folgen, die ein halbes Jahr oder ein Jahr dauert. Oder vier Folgen. Wie ich an dem Buch gearbeitet habe und merkten wir nach einem Jahr - wie wir 250 Seiten geschrieben hatten -, dass es vom Umfang her ein großes Buch wird. Wie ich dann recherchiert habe und in Russland überall die Akten gefunden habe, die das belegen, das war natürlich sowas von aufregend, das zu erleben. Da wusste ich, das wird kein kleines Büchlein, sondern ein großes Buch. Dann kam noch der Streit mit dem Verlag, der nicht über 300 Seiten haben wollte - das kann man im Urlaub nicht lesen, das ist viel zu schwer! - dann sagte ich, dann machen wir's halt nicht das Buch. Aber die wollten das unbedingt haben und da sagte ich, wenn ihr's haben wollt, dann müsst ihr's so nehmen, wie es ist. Da war ich schon sehr arrogant, aber gottseidank war ich das. Ich wusste: ich bin Musiker, ich verdiene mein Geld mit Musik und ich verdiene nicht schlecht. Und wenn ich etwas literarisches mache, mach ich's aus Begeisterung und dann kommt das Buch sowieso irgendwann heraus, wenn ich nicht mehr bin. Aber ich werde mich nicht herumstreiten und 200 Seiten aus dem Buch herausstreichen.

Ist der Film gelungen? Oder ist da ein bisschen zuviel Pathos drin, ein Pathos, das im Buch nicht so vorkommt?
Kann sein, dass er durch die Musik dieses Pathos bekommen hat. Aber ich bin natürlich auch ein etwas pathetischer Mensch. Auch wenn ich auf der Bühne bin. Es gibt keine vernünftige Musik, die nicht Pathos hat. Auch die großen Rockkonzerte von den großen Gruppen werden dann ergreifend und hinreißend, wenn sie Pathos haben. Musik ohne Pathos interessiert mich einfach nicht. Musik hat Pathos und große Literatur auch. Ich hab in meiner Musik, in meinen Konzerten immer pathetische Momente drin gehabt, und es kann nicht sein, dass ich in einem Buch über meine Familie arbeite und dass ich das ohne Pathos mache. Es stört mich nicht. Es berührt mich. Es hat mich sehr berührt, als ich den Film gesehen hab.

Der Film war teuer ...
Wir haben wahrscheinlich das größte Etat, das in diesem Jahr für einen Film verbraten wurde, das haben wir auch vollständig ausgenutzt. Am Schluss  ging's um die Musik und für die Musik war kein Geld mehr da. Dann ist meine Schallplattenfirma eingesprungen und hat gesagt, wir wollen die Musik veröffentlichen. Ich hab auch noch einen Teil dazugetan, um Julian Rachlin als Geiger dazuzubekommen weil wir uns plötzlich eingebildet haben wir müssen dem Film eine Musik geben, von der Philosophie her muss das so sein wie Schindlers Liste. Man muss ein großes Thema haben und einen großen Geiger - was lag da näher, als meinen Freund Julian Rachlin zu fragen.

Den Mann mit dem Fagott und die Uhr - gibt's die wirklich oder ist das literarische Freiheit?
Die gibt's wirklich. Die Uhr wurde vor 200 Jahren in Schweden gebaut, die besitze ich, die wird natürlich auch an meinen Sohn weitergehen. Der Großvater hat die damals an den Zweitgeborenen gegeben, weil der Erstgeborene sowieso ein größeres Erbe hat. Die Statue steht heut bei mir zuhause, sie stand die ganze Zeit bei meinem Großvater, dann bei meinem Vater und mein Vater hat sie mir gegeben. Zwischendurch war sie auch einmal weg, wie sie zurückgekommen ist, weiß kein Mensch.  Sie ist nach dem Krieg wieder aufgetaucht.

 

 

 

Interviews

Mit 77 Jahren
Interviews, 29. September 2011
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