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Hubert von Goisern: Im Wirtshaus mit dem Publikum

Hubert von Goisern: Im Wirtshaus mit dem Publikum
© Elli Christl
Veröffentlicht:
17.08.2011
Kein Austro-Musiker ist so weit herum­gekommen wie Hubert von Goisern: Er war in Afrika und Tibet, fuhr die Donau flussauf und flussab. Jetzt geht’s endlich ins Wirtshaus.

"Keine Extras, keine bunten Lampen, keine Show“:
Der Goiserer reduziert aufs Wesentliche. Bei der Wirtshaustour die nun auf ServusTV ausgestrahlt wird (Do., 25.08., 20.15 Uhr), ist Bodenhaftung das Motto – hier ist backstage an der Bar, u. a. im Grossarltal, am Pass Gschütt, von Frankenreith bis Leopoldsschlag an der tschechischen Grenze, von Ottenheim bis Weng.

tele: Was zeichnet ein gutes Wirtshaus aus?
Gutes Essen ist Voraussetzung. Ich bin keiner, der nur wegen der Gesellschaft ins Wirtshaus geht um Bier zu trinken. Das hab ich noch nie gemacht (lacht nicht). Vielleicht kommt das im hohen Alter. Fast noch wichtiger ist ein freundlicher Wirt. Das Essen ist meistens auch nicht gut, wenn der zwider ist. Und ich mag Gemütlichkeit.

Eines der Ziele der "Wirtshaustour" war, brachliegende Veranstaltungsorte wiederzubeleben. Was war der Auslöser?
Der Auslöser war, als 1992 in Goisern der letzte Wirtshaussaal weggerissen worden ist, weil man da was Größeres hinbauen wollte, eine Eier legende Wollmilchsau von einem Veranstaltungssaal. Ich bin damals von Pontius zu Pilatus gelaufen, vom Bürgermeister bis zum Konsum, der damals Eigentümer war, man war nicht davon abzubringen. Es hat keiner gemerkt, was das eigentlich für eine Kommune bedeutet, einen Saal zu haben, der eine Geschichte ausstrahlt, eine Wärme hat.

Was sind die Kriterien für die Wirtshäuser auf der Tour?
Sie müssen in einem Ort sein, wo die Leute eine Stunde oder mehr mit dem Auto fahren müssen, um in eine Stadt zu gelangen, wo ich üblicherweise Konzerte gebe. Wir kommen den Leuten entgegen – nicht sie zu uns, sondern wir zu ihnen. Das ist effizienter und spart Treibstoff.

Was hat Sie umgetrieben bei Ihrem neuen Album? Die Themen reichen vom Wert und Nicht-Wert des Geldes bis zu Komplikationen von Beziehungen …
Das sind ja die ewigen großen Themen, die uns beschäftigen: Der Umgang mit den Ressourcen, wo die einen einfach zuviel haben und keinen Bezug mehr dazu. Und die Beziehungseben ist auch ein Dauerbrenner, das Scheitern von Kommunikation. (Hubert von Gosierns neues Album "Entwederundoder" gibt's hier zu gewinnen., Anm.)

Woran scheitert es?
Es gibt immer wieder einen Kommunikationszusammenbruch, wo man sich dann mehr als anstrengen muss, dass sich dieser Stau an Emotionen, Ressentiments und Missverständnissen auflöst. Das liegt in der Natur der Sache, das hängt auch mit den Generationen zusammen, damit, dass wir halt Phasen haben, wo wir uns selber wichtiger sind als die Umwelt, weil wir uns selber verlieren. Da wird unser eigenes Leben plötzlich ganz kompliziert und dann ist es sehr schwierig, mit der Umwelt in Kontakt zu treten, außer sie will genau das, was man selber will. Man kann aber nicht jedes Mal das ganze Umfeld wechseln, nur weil man selber in einem anderen Film ist. Damit muss man lernen umzugehen. Ich sag immer: Weiteratmen, einfach weiteratmen, und nicht alles gleich zum eigenen Problem machen. Sehr oft nimmt man sich ja anderer Leute Probleme aus Machtinteresse an oder aus großer Selbstüberschätzung der eigenen therapeutischen Fähigkeiten. Viele Dinge erledigen sich von selbst.

Wenig österreichische Musiker sind über die Jahre so viel im Ausland herumgekommen wie Sie – wie definieren Sie Heimat? Wo fühlen Sie sich wohl? Wie erden Sie sich? Oder sind Sie überall zuhause?
Das ginge schon, aber ich brauch ein Zeitl, ich bin ein Langsamer. Wenn ich zum Beispiel nach Afrika fliege, brauch ich drei Tage, bis ich in Kommunikation treten kann, also jetzt abgesehen von Funktionellem – wo gibt's Tschick, wo kann ich mir Bananen kaufen, diese Dinge. Dann kann ich mich eigentlich überall zuhause fühlen, ich fühle mich schon eher als Kind dieser Welt als ein Sohn des Salzkammerguts oder Österreichs

Befreit das?
Ja, eh. Heimat ist für mich in erster Linie ein Platz, wo ich mich einbringe und mir nicht nur mein Teil dazu denke und beobachte. Es ist schon extra Heimeliges, wenn ich ins Salzkammergut komm, wo die Leute diesen Klang in der Sprache draufhaben, der mir vertraut ist. Oder wo mir die Silhouette der Berge so vertraut ist, dass ich, obwohl ich weit weg bin, weiß, wenn das Licht so ist oder der Klang der Kirchenglocken so ist, der Föhn geht. Das hat dann schon was. Wenn ich lang keine Berge hab, dann werd ich depressiv. Ich hab auch immer wieder das Gefühl, ich möcht gern wo raufgehen und mir einen Überblick verschaffen – da sind die Probleme des Tales einfach weit weg, die Autos sind ganz klein, stinken nicht. Man ist ein Teil der Natur und als solcher fühle mich immer wohl.

Es ist nicht ihre erste Tournee, die auf Film dokumentiert wird…
Das war eigentlich nur die "Linz Europa Tour", da war der ORF Ko-Produzent und hat sie zu einer unmöglichen Sendezeit ausgestrahlt. Alles anderen habe ich selber gemacht und selber produziert. Bei der Donau-Tour wär's einfach sträflich gewesen, die Vision nicht mit mehr Leuten zu teilen, auch wenn das 200.000 Leute live gesehen haben. Ich bin froh, dass es das als Dokument gibt, deswegen hab ich mir das auch angetan, ein Buch drüber zu schreiben.

Stört das Filmen vor Ort?
Meistens. Aber ich habe im Laufe der Jahre gelernt, im Vorfeld drauf zu schauen, dass die richtigen Leute mitfahren. Es ist mir passiert, dass mir ein Produktionsteam auf‘s Aug gedruckt wurde, das einfach unfähig war, die Situation zu begreifen oder auch zu genießen. Damit ist niemandem gedient. Ich will nur Leute dabei haben, die das auch wollen, niemand, der dazu vergattert worden ist. Aber im Grunde genommen stört es in der Begegnung mit Fremden. Wenn man ins Herz Afrikas fährt und begegnet dort Menschen, die man noch nie zuvor gesehen hast, will mit denen Kontakt aufbauen, dann hemmt eine Kamera oder gar ein ganzes Filmteam, das herumwuselt. Das Ganze kriegt dann eine Wichtigkeit, die gerade bei der ersten Kontaktaufnahme nicht förderlich ist.

Sie spielen gerne mit anderen Musikern …
Es geht eigentlich ganz simpel darum, Freunde zu gewinnen, Menschen kennenzulernen. Ich bin ein neugieriger Mensch. Es interessiert mich einfach, eine gemeinsame Zeit zu verbringen – nicht nur zu proben und auf die Bühne zu gehen, und vielleicht vorher oder nachher kurz ein Bier zu trinken. Wenn man wie wir damals auf dem Schiff ein paar Tage Zeit hat, miteinander reist, isst, die Nacht am selben Ort verbringt und sich in der Früh wieder trifft, da kommt eine Normalität in die Beziehung rein. Da kommt jeder ein bissl verwuzelt in der Früh daher und holt sich seinen Kaffee, dann redet man anders und kommt schon mehr auf den Kern der Sache, auf die Gemeinsamkeiten, die Unterschiede. Ich bin ja keiner, der die Menschen gleichschalten will.

"Neue Volksmusik", "Weltmusik" – wie tun Sie sich mit solchen Begriffen?
Die sind mir relativ wurscht. Die verändern den Geschmack im Lauf ihres Lebens. Weltmusik hatte einen anderen Geschmack vor 20 Jahren, als Peter Gabriel sein Real World-Label gegründet hat, da war das der letzte Schrei. Jetzt hat's schon so was Abgedroschenes. Aber manche Leute entdecken es jetzt erst. So Begriffe wie "Neue Volksmusik" werden ja nicht von Musikern erfunden. Leute, die über Musik schreiben wollen und sollen müssen sich halt irgendwas dafür einfallen lassen. Ich finde den Journalismus ja spannend, der mit Worten das ausdrücken soll, was andere mit Musik machen. Das kann sich eigentlich gar nicht ausgehen. Man kann dieses klingende Zentrum nur mit Worten umschreiben und durch den Kreis, den man rundherum zieht, die Leute ahnen lassen, was da in der Mitte ist, was aber als solches unbegreifbar bleiben wird. Leonard Bernstein hat einmal gemeint, "über Musik zu schreiben ist wie über Architektur zu tanzen".


Hören Sie auch Musik junger österreichischer Bands?
Ganz wenig, ich bin so viel mit meinen Sachen beschäftigt, außerdem hör ich mir nicht gern Musik aus der Konserve an. Es sei denn es kommt wer und sagt, du hör dir das an. Da freu ich mich dann. Aber ich hör ja sowieso dauernd Musik in meinem Kopf – aber Sachen, die's noch gar nicht gibt. Es läuft eine Musik ab, ich brauch mich nur eintunen, das Volume aufdrehen, dann hör ich nimmer, was rund um mich ist, sondern was in mir ist.

Können Sie sich das merken?
Wenn ich will schon. Aber oft nehm ich's gar nicht so bewusst wahr. Ich war mir als Kind sicher, jeder hat das. Ich kann mich erinnern mit fünf, sechs Jahren, sind da die ersten Sachen passiert, vom Hundertsten ins Tausendste, Harmonien und Melodien. Ich glaub ich war erst 30 Jahre oder älter als ich erfahren hab, dass das nicht jeder hat!

Wo entspannen Sie gern? Weit weg oder doch zuhause?
Dahoam taugts mir eigentlich sehr, nachdem ich eh sehr viel unterwegs bin. Wobei's natürlich so ist: Daheim sieht man ständig die Arbeit. Es gibt immer was zu tun, was man von einem Jahr aufs nächste verschiebt. Dann starrt man auf irgendeinen Ast, den man seit drei Jahren abschneiden will, oder denkt dran, dass man den Keller entrümpeln soll. Aber wir fliegen jetzt nach Lappland. Ich bin ein echter Fan des ganz hohen Nordens. Ich mag's dort irrsinnig gern, weil's dort so ruhig ist.

Was ist die nächste Reise, das nächste Wirtshaus, das nächste Projekt?
2012 werden wohl so an die 100 Konzerte gespielt werden, 2013 hab ich dann eigentlich vor, nichts zu tun. Ich mach das immer wieder. Da gibt’s mich dann einfach nicht für die Öffentlichkeit.

Was tun Konzerte mit dem eigenen Energiehaushalt? Man gibt viel, bekommt viel...
Das trifft auf mich auf jeden Fall zu. Ich bin kein Multitasker. Es heißt immer, die Männer tun sich mit solchen Sachen schwerer als mit Frauen (Freudscher Versprecher, Anm. der Red.). Mir geht's ganz extrem so. Wenn ich auf die Bühne geh, werd ich zum Bühnenmenschen. Die ganze Energie geht dahin, dass die Bühne brennt, dass wir Wärme und Licht ausstrahlen und den Leuten mitgeben. In der Zeit kann ich nicht komponieren, höchstens ein bisschen träumen, da bin ich den ganzen Tag über auf extrem niedriges Standgas eingestellt und dann vollgas auf der Bühne und dann wird wieder alles runtergefahren. Danach brauch ich eine Auszeit. Dann komm ich wieder in die Phase, wo ich mir selber zuhören kann und Neues entsteht. In dieser Zeit ist es völlig ausgeschlossen, dass ich vor jemandem auftrete oder öffentlich etwas sage. Da bin ich dann ganz intim, ganz verletzlich, da will ich keine fremden Leute um mich herumhaben. Da möcht ich nur wenige Leute, mit denen ich mich ganz intensiv auseinandersetze, und nicht diese große Publikumsmasse. Die ist eigentlich immer beängstigend, bis ich mich dran gewöhne, und es mir dann wieder abgewöhne. Das hat schon Suchtcharakter.

Das Publikum hat ja auch den Anspruch, wenn auch nur für die Dauer eines Konzerts, eine Verbindung zu Ihnen zu haben …
Ich weiß nicht, wie das für die Leute ist. Ich bekomme viel Post und merke schon, dass ich für sehr viele Leute eine Projektionsfläche bin. Es gibt Leute, die schütten einem dann auf 20 Seiten ihr Herz aus, das kann man gar nicht alles aufnehmen. Aber die Grundstruktur ist, dass sie in mir das sehen, was sie in sich tragen. Wenn das Trauer ist und Schmerz und Unglück, dann projizieren sie das auf mich und meine Lieder, und wenn sie etwas überwunden haben, dann projizieren sie das hinein. So soll es ja auch sein. Ich rede nicht gern selbst über meine Musik und meine Lieder. Wenn die nicht ohne Beipacktext funktionieren, dann stimmt was nicht. Ich mag keine Interpretationsvorgaben geben. Jeder soll für sich das entdecken, was passt. Es gibt keine falsche Interpretation.

Schriftsteller sagen ja oft, sobald man einen Text veröffentlicht hat, gehört er einem nicht mehr. Das hat auch was Befreiendes: Man kann es nicht mehr, muss es dafür aber auch nicht mehr beeinflussen…
Das stimmt. Aber es fordert einem natürlich ab, dass man sich bis zu dem Zeitpunkt, wo man's entlässt, sehr wohl Gedanken macht, wie was verstanden werden kann. Das ist schon lang her, da hab ich zu jemandem gesagt, "Wenn Dir etwas so wichtig ist, dass es für Dich passieren muss, dann musst Du's machen!". Dann hat er was gemacht – ich mag darüber, was es war, jetzt gar nicht reden (lacht) – ich hätte jedenfalls sowas auf keinen Fall gemacht. Dann haben's ihn halt dabei erwischt und er hat gesagt, "Ich hab das gemacht weil das der Hubert gesagt hat". Es lohnt sich allemal darüber nachzudenken, ob etwas missverständlich sein kann. Mir ist das ja einmal mit "Heast das net" passiert, das bei einer FPÖ-Veranstaltung verwendet wurde.

Denen haben Sie dann einen Brief geschrieben …
Der Tiroler Jung-FPÖ-Chef hat geschrieben, dass sie total enttäuscht sind, dass ich mich so davon distanziere. Aber das ist eh ok. Wie man so schön sagt, das war ein Aufgelegter (schmunzelt). Sowas passiert. Dafür kann man dann wunderbar Stellung dazu nehmen. Ohne Anlass politisch Stellung zunehmen, da käme man sich vor, wie wenn man selber Politiker wäre und das kann's eigentlich nicht sein.

Vielen Dank für das Gespräch!

Das Interview führte Julia Pühringer

Zur Person: Hubert von Goisern
• Geb. 1952 als Hubert Achleitner in Bad Goisern.
• Erstes Instrument: Trompete (Leihgabe der örtlichen Blaskapelle, Rauswurf mit 19 wegen langer Haare)
• Lebte in Afrika, Toronto, auf den Philippinen
• Studium: Elektroakustik & experimentelle Musik
• Entdeckte erst 1986 die diatonische Ziehharmonika, Gründung der Alpinkatzen.
• Der Rest ist Geschichte.

 

Low-Fi Alpenrock in High Definition
Wer’s zu den letzten Konzerten nicht geschafft hat, kann sich HvG im Wohnzimmer geben (und 2012 bei an die 100 Gigs):

Hubert von Goiserns Wirtshaustour: Ein musikalisches Roadmovie vom Salzkammergut bis zur tschechischen Grenze. Stimmung pur. Donnerstag, 25.08., Servus TV, 20.15 Uhr

Hubert von Goisern – In Concert: Der „King of Alpenrock“ beim größten Folk-Roots-Weltmusik-Festival Deutschlands, in voller Länge und Full HD. Dienstag, 30. 8., Servus TV, 21.05 Uhr

Interviews

Hubert von Goisern: Im Wirtshaus mit dem Publikum
Interviews, 17. August 2011
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