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Die Bettwurst

Die Bettwurst
Teaser:
Rosa von Praunheims bekanntester längerer Film wurde im Jahre 1970 gedreht - in zehn Tagen, mit Laiendarstellern und ohne Drehbuch(-Dialoge). Die Rollen- und wahre Identitäten verschmelzen in solch einer Situation.

Veröffentlicht:
23.04.2004
Und die Berliner Bettwurst
Der damals noch recht junge Regisseur brachte seine beiden Darsteller dazu, sich selbst zu spielen und zugleich bestimmte klassische heteorsexuelle Beziehungsszenen vorzuführen. Dabei sind die ungewöhnlichen Persönlichkeiten von Luzi und Dietmar ausschlaggebend.

Luzi Kryn: polnische Spätaussiedlerin mit Drang zur Selbstdarstellung, nicht mehr ganz jung, Kreischstimme und Rosa von Praunheims Tante. Dietmar Kracht: junger Mann mit breitem Mannheimer Dialekt, arbeitslos, laut Von Praunheim ein Berliner Stricher. Beide verbindet ein exzentrisches Wesen, das damit einhergehende Außenseitertum sowie eine Vorliebe für auffällige Kleidung.

Luzi und Dietmar treffen zufällig am Kieler Hafen zusammen. Man lernt sich auf gängige Art besser kennen: eine Ortsführung für den Kiel-Neuling Dietmar, ein Nachmittag an der Kieler Förde, Tanztee, Gartenbesuch, Kaffetrinken, Fotoalben bestaunen, Liebesgeständnis, geteilte Nächte und Hausarbeit.

Alles geht den üblichen Gang, Dietmar sucht sich einen Job und zieht bei Luzi ein. Zu Weihnachten verlobt sich das ungleiche Paar sogar, nachdem Geschenke (ein Messerschleifer und eine Nackenrolle alias Bettwurst für Dietmar; ein kitschiges Zigeunerin-Porträt und ein gläsernes Saftset für Luzi) ausgetauscht wurden.

Doch dann! Luzi wird entführt, und zwar von der personifizierten dunklen Vergangenheit Dietmars: Alte Spießgesellen aus Berlin wollen ihn erpressen, zur kriminellen Szene zurück zu kehren. Das lässt sich der sonst so sanfte Dietmar nicht bieten: Bei der hochdramatischen Rettung Luzis kommt es zu tödlichen Schüssen auf den Entführer. In "Bonnie und Clyde"-Manier türmt das Liebespaar mit Hilfe eines zufällig in der Nähe startenden Flugzeugs und flieht ins Ungewisse.

Dieses Soziogramm der 70er-Jahre hat was von Super-8-Film-Erinnerungen, etwa wenn Luzi und Dietmar aufgedonnert bis zum Geht-nicht-mehr im Kleingarten hocken oder Luzi stolz vor ihren Ado-Gardinen posiert.

Man stelle sich vor, wie merkwürdig und brandneu dieser Film 1971 ohne den heutigen Zauber der Nostalgie oder Abhärtung durch Filme nach "Dogma"-Schema auf so manchen Zuschauer gewirkt haben mag, von Reality-Soaps und nachgestellten Gerichtsverhandlungen ganz zu schweigen. Tatsächlich wurde das Experimental-Werk jedoch seinerzeit sogar vom ZDF finanziert und ausgestrahlt.

Die zum Brüllen komischen Dialoge der beiden krampfig agierenden "Liebenden" waren angeblich selbst für Rosa und seinen Mitarbeiter hinter der Kamera kaum ernsthaft zu ertragen. Und doch behalten Luzi und Dietmar ihre Würde, werden nicht der Lächerlichkeit preisgegeben. Absolut sehenswert!

Die DVD bietet außerdem noch die vier Jahre später gedrehte Fortsetzung "Die Berliner Bettwurst", die allerdings trotz der erneut hochdramatischen Handlung (Dietmar raucht Haschisch und wird von Luzi rausgeschmissen) nicht ganz mit der ersten Fassung mithalten kann. Außerdem plaudert Rosa von Praunheim in einem Luci-Kryn-Special aus dem Nähkästchen.

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