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Jellens EM-Tagebuch, Teil 3

Jellens EM-Tagebuch, Teil 3
Veröffentlicht:
23.06.2012
Griechen ohne Rettungsschirm fliegen gegen bärenstarke Germanen aus der EURO. Wer oder was soll den deutschen Kombinationsfußball stoppen? Tiki-Taka, wie 2008 und 2010? Heute abend, wenn zuletzt nicht ganz überzeugende Spanier auf verunsicherte Franzosen treffen, wissen wir mehr.

Im Rückspiegel:

22.6. 2012, Danzig.

Oh Hellas! Was die Griechen gestern auf dem schnell zerpflügten Rasen von Danzig ablieferten, hatte nicht einmal das Zeug zur griechischen Tragödie. Es war wohl eher ein fußballerischer Offenbarungseid. Was die Herren aber nicht davon abhielt, nach dem Match mit der eigenen Leistung zufrieden zu sein und das hilflose Gekicke gegen einen erschreckend überlegenen Gegner schön zu reden. War eh ganz ok, so der Tenor der Interviews. Dabei sein ist alles, mehr geht halt nicht, der Gegner war Deutschland, wir haben zweimal gescort, alles paletti.

Oh Hellas! Dieses Spiel hätte gut und gern 7:1 für die emsigen Germanen ausgehen können, und damit, liebe Hellenen, wärt ihr noch gut bedient gewesen. Das Bild, das mir bis zum Abpfiff durch den Kopf ging: Ein altersschwacher griechischer Traktor versucht mit einem Mercedes-Silberpfeil Schritt zu halten. Aussichtslos!

„Griechenland wird überrollt“, schreibt heute die „Gazzetta dello Sport“.

Griechen-Tor Nummer zwei entsprang einem Mitleidspfiff des slowenischen Schiris. Jerome Boateng dreht sich vom Schützen weg, die rechte Hand dreht sich mit, er bekommt den Ball an die Hand und schon zeigt Herr Skomina auf den Elfmeterpunkt. Was lernen wir daraus? Boateng hat auf dem Hinterkopf Augen – wie sonst könnte das Absicht gewesen sein.

Was wir noch gelernt haben:

Jogi Löw kann aufstellen und einwechseln, wen er will. Alles flutscht, alles harmoniert, ein Glied greift ins andere. Nur über die Chancenauswertung kann man diskutieren.

Angela Merkel jubelt so deutsch, deutscher geht’s gar nicht.

Rückschläge wie das zwischenzeitliche 1:1 sind nur ein zwischenzeitlicher Irrtum, am Ende gewinnen die Deutschen. Und zwar souverän.

Schweinsteigers Übersteiger über den inneren Schweinehund lässt noch auf sich warten, im Vergleich mit einem Khedira oder Hummels fällt der frühere „agressive leader“ der Deutschen immer noch ab. Zuwenig Azkente, zu viele Fehlpässe.

Der griechische Goalie Sifakis konnte einem leid tun. Das mit dem Ballfangen sollte er noch lernen, aber auch mit einem Weltklassetorhüter wäre Griechenland untergegangen.

Und jetzt zu etwas ganz anderem:

Donezk, 23. Juni, 20.45 Uhr.

Man glaubt es ja kaum, aber noch nie konnte Spanien Frankreich bei einem großen Turnier besiegen. Und tatsächlich: Da gab es ja diese 0:2-Finalniederlage bei der EM 1984, als noch ein gewisser Michel Platini bei den Franzosen die Fäden zog. Dann die Achtelfinalniederlage bei der WM 2006 in Hannover, als ein Jungstar namens Franck Ribéry ein Tor zum 3:1-Sieg der „Equipe Tricolore“ beisteuerte.

Wie tief sitzen diese Stachel, wie kommt Spanien mit der Favoritenrolle zurecht? Nach dem 1:0-Zittersieg im entscheidenden Gruppenspiel gegen Kroatien wurde eifrig am Image der „Seleccion“ gekratzt, Iker Casillas als Retter in der Not gefeiert.

Aber Spanien hat auch göttlichen Beistand. Jesus Navas, ein Spieler, der gegenüber Namen wie Iniesta, Xavi und Torres wie ein Nobody rüberkommt, kegelte bekanntlich nach seiner Einwechslung die Kroaten aus dem Turnier – und sollte allen Zweiflern zu denken geben. Vicente Del Bosque hat mit Jogi Löw nämlich eines gemeinsam: Er kann aus dem Vollen schöpfen. Er kann seine Aufstellung fast beliebig an die Erfordernisse – sprich: das System des Gegners - anpassen. Ein Match ohne (vollwertigen) Stürmer? Hatten wir schon. Die Auferstehung des Fernando Torres als Goalgetter? Auch schon passiert. Jesus als Heilsbringer gegen erbittert kämpfende Kroaten? Kann nicht schaden, wie wir gesehen haben.

„La Roja“, die rote Furie, spielt heute abend also mit etwas gedämpfter Euphorie gegen die jahrzehntelange Demütigung durch die „Les Bleus“ an, darf aber auf einen zerstrittenen blauen Haufen hoffen. Ein blaues Auge gab es zwar nach dem 0:2 gegen Schweden in der Kabine der Franzosen nicht, zwischen Diarra und Nasri soll es aber richtig Stress gegeben haben.

Teamchef Laurent Blanc wollte das im Vorfeld des Viertelfinalhits gar nicht bestreiten. Er ist aber auch einer, der seine Truppe wieder auf Kurs bringen kann. Auf Kurs Richtung Halbfinale.

Es ist angerichtet. Wenn die Partie nur annähernd das hält, was die großen Namen versprechen, dann erleben wir ein hochemotionales Klassespiel.

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